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Lernen Sie die
Grundprinzipien einer Rakete und ihres Satelliten kennen anhand des
ersten kommerziellen
Starts einer Ariane 5-Rakete am 10. Dezember 1999 um 15.32 MEZ
Kourou - Start einer
Ariane 5
Jürgen
Heermann war für Sie vor Ort
Außer Landes gehen
vornehmlich Krabben, Fische und sich schnell entfernende Raketen.
Man kennt drei Höhepunkte: Das Eierlegen der Lederschildkröten,
der ausgedehnte bunte Karneval und das Starten einer Ariane. Zu
allen drei Ereignissen scheuen Reisende keine Strapazen. Von Paris
kommend, landen Gäste nach neun Stunden Flugzeit in Rochambeau, dem
einzig in Frage kommenden Flughafen. Beim Aussteigen wird prompt
kompensiert, was dem Langstreckenflug fehlte. Die für das
Wohlbefinden viel zu trockene Luft der Stratosphäre wechselt mit
einer kräftig feucht tropischen Atmosphäre. Gut für die Haut! Ist
das aber der wohlausgesuchte Ort, zu dem europäische Nationen eine
ihrer hochsensibelsten Techniken schaffen, sie hier zusammenbauen
und auch noch die Hoffnung haben, dass das Ganze funktioniert? Dort,
wo mehrfach soviel Regen runterkommt, wie in Europa? Das Klima soll
stabil sein, sagt man. Übersetzt heißt das, es gibt
eine Regenzeit und eine Zeit wo es regnet. Auf unserer Fahrt vom
Flughafen nach Kourou zeigt die Natur ihre Überlegenheit. Die
Wellblechdächer der Häuser sind nicht einfach verrostet, nein, ihr
Anblick lässt glauben, Blech könne hierzulande regelrecht
verfaulen.
Unbeirrt
von solchen Äußerlichkeiten bestimmte 1964 Charles de Gaulle, dass
dieses für Frankreich bereits geschichtsträchtige Übersee-Department
Französisch-Guayana der Startplatz für den Aufbruch ins All werden
solle. Seitdem haben über 100 Raketen mehr als 160 Satelliten im
All abgesetzt und die Einwohnerzahl des benachbarten Fischerdorfes
Kourou quoll von 700 auf stattliche 15.000. Seine Bewohner und
Besucher haben bereits die verschiedensten Raketentypen fliegen
sehen. Heute nennt sich die modernste Version Ariane 5. Der vierte
Start dieses Typs hat planmäßig am Freitag, den 10. Dezember 1999
um 15.32 MEZ stattgefunden. Ihre Nutzlast mit der Bezeichnung XMM (X-ray
Multi Mirror) wurde gebaut unter Führung der zu DaimlerChrysler
Aerospace (DASA) gehörenden Dornier Satellitensysteme GmbH (DSS) im
Auftrag der europäischen Raumfahrtorganisation (ESA). Von diesem
XMM und seinen drei identischen Röntgen-Spiegelsysteme erwarten die
Forscher die Entdeckung 30.000 neuer Röntgenobjekte. Mit 174
vergoldeten Nickelschalen besitzt das XMM-Teleskop eine enorme
Sammelfläche und hat eine wesentlich bessere spektrale Auflösung
als sein bereits abgeschalteter Vorgänger, der Röntgensatellit
Rosat. Mit Hilfe zweier hochauflösenden
Reflexionsgitter-Spektrometern kann unter anderem auf
Zusammensetzung, Temperatur und Bewegung der untersuchten Objekte
geschlossen werde. Ganz besonders aufgeregt erwarten die
Wissenschaftler indirekte Beobachtungsdaten von Schwarzen Löchern
bis zu einer unvorstellbaren Entfernung von 800 Millionen
Lichtjahren (man vergleiche die Entfernung Sonne – Erde, die
gerademal acht Lichtminuten groß ist). Durch ihre enorme
Anziehungskraft wirken die Schwarzen Löcher auf ihre Umgebung wie
ein Staubsauger. Bevor Gas und Staub in dieses Loch fallen,
erreichen sie nahezu Lichtgeschwindigkeit und senden zur Freude von
XMM messbare Röntgenstrahlen aus. Ihre Erforschung ist nur vom
Satelliten aus möglich, weil die Luftmoleküle der Erdatmosphäre
sie freundlicherweise für uns Menschen absorbieren.
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Muss XMM auch unter
widrigen Weltraumbedingungen arbeiten, so ist er für irdisches
Klima nur bedingt tauglich. Von seiner Entstehung unter
Reinraumbedingungen bis zum Einschließen in der Raketenspitze
war er nahtlos einem künstlichen Klima ausgesetzt. Zerlegt für den
Landtransport, reiste er in klimatisierten Behältern zunächst nach
Noordwijk in den Niederlanden. Das zur ESA gehörende ESA Technology
Center (ESTEC) bewies dort, dass nichts in den Weltraum marschiert,
ohne bereits vorher den zu erwartenden Strapazen ausgesetzt zu sein.
Die hohen Vibrationen und die für den Menschen nicht überlebbaren
Lärmbelastungen beim Start wurden simuliert. Begehbar große
Lautsprecher erzeugten Frequenzen, wie sie beim Start auftreten und
das mit Lautstärken von 145 Dezibel. Wie beim späteren
Tagesgeschehen im All üblich, wurde XMM in einer Vakuumkammer
harten Licht- und Schattenbedingungen ausgesetzt. Im nun endgültig
zusammengebauten Zustand brachte ein Lastkahn die vier Tonnen
schwere Fracht nach Rotterdam, wo sie mit der MN Toucan in das äquatoriale
Departement der Grande Nation verschifft wurde. In ein Land, wo
Europa schon längst verschwunden ist und eine Übernachtung in der
mitgebrachten Hängematte 25 Franc kostet. Hier wurde der Satellit
in der Endmontagehalle des Guiana Space Center (GSC) dem Träger in
den Gepäckraum gelegt.
Diese fertig montierte und
auf Herz und Nieren geprüfte Ariane 5 mit ihren beiden scheinbar
angehängten wuchtig markanten "Booster"-Raketen ist eine
unverzichtbare Einheit. Scheinbar nur deshalb, weil die
"Booster" es sind, die das Mittelteil, die sogenannte
Zentraleinheit, in den Himmel hieven. Jeder der startbereiten 270
Tonnen schweren "Booster" hat einen Schub von 640 Tonnen.
Das Mittelteil, die Zentraleinheit, wiegt aufgetankt 170 Tonnen,
erreicht aber nur einen Schub von 100 Tonnen. Berücksichtigt man,
dass eine Rakete erst aufsteigt, wenn der Schub größer ist als ihr
Gewicht, käme die Zentraleinheit ohne Booster erst gar nicht von
der Rampe.
Herrschte äußerste
Zufriedenheit über alle Systeme, begann wenige Stunden vor dem
Start der Countdown und das Öffnen der Hallentore. Über eine
handelsübliche Lastwagenanhängerkupplung und von einem
Spezialfahrzeug der MAN gezogen, bewegte sich das allein 700 Tonnen
schwere Gestell auf zwei parallel laufenden Eisenbahngleisen mit der
unbefestigten 53 Meter hohen Rakete zur Startrampe. Umgeben von vier
noch höheren Türmen, die als Blitzableiter fungieren, fallen dem
Betrachter dieser Rampe viele große Rohröffnungen auf, die mit
einem benachbarten 100 Meter hohen Wasserturm über ein Rohr
verbunden sind, bei dessen Dicke getrost ein Auto darin fahren könnte.
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Jetzt wurde die
Zentraleinheit mit flüssigem Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff
gefüllt. Ariane 5 nahm dabei um 155 Tonnen zu und erreicht ihr
Startgewicht von 746,6 Tonnen. Während dieser Zeit bewacht die
ortsansässige Fremdenlegion die Umgebung und garantiert routinemäßig
ein menschenleeres Gelände. Aus diesem Grund entstehen Nahaufnahmen
vom Start allesamt automatisch. Lediglich in einem Bunker überwacht
eine kleine Mannschaft ganz besonders die letzten sechseinhalb
Minuten, die wegen ihrer Datenfülle zunächst automatisch ablaufen.
Was in einem Flugzeug Pflicht ist, gilt auch hier: Ein Autopilot
bleibt immer unter Aufsicht. Weil diese automatische Phase
hochbrisant ist, wurde sie bereits vorher geprobt, wenn auch ohne
Satellit, am Startplatz im aufgetankten Zustand bis sechs Sekunden
vor der vermeintlich ersten Zündung.
Die
geplante Startzeit wurde unter anderem bestimmt von Berechnungen,
die eine Kollision mit dem im All herumfliegenden Restmüll
verhindern sollte. War die Zeit gekommen, standen wie gewöhnlich
ein paar hundert aufgeregte Besucher in etwa vier Kilometer
Entfernung zur Beobachtung bereit. Zuerst zündete das
Zentraltriebwerk. Dazu lieferten zwei Pumpen die bis zu minus 253
Grad Celsius kalten Flüssigkeiten mit je 6000 kW Leistung (über
8000 PS) in die Brennkammer des "Vulcain"-Triebwerks. Lief
das Triebwerk zufrieden stellend für sechs bis acht Sekunden, zündeten
die "Booster". Zu dieser Zeit ist ihr Inneres noch voll gestopft
mit einer hochbrisanten schuhcremeartigen Paste. Einmal
gezündet, sind sie nicht mehr abschaltbar und brennen von innen
nach außen ab wie ein Sylvesterheuler. Zieht man vom Gesamtschub
das Gesamtgewicht ab, so bleibt für die Beschleunigung sieben
mal soviel Schub, wie ein Jumbo, die Boeing 747, beim Start
entwickelt. Von so viel heißen Gasen bestrahlt, wäre es eine
Einmalstartrampe, wenn sie nicht eingeschwemmt worden wäre, für 20
Sekunden mit 400 Kubikmeter Wasser (das Volumen einer über 150
Quadratmeter großen Wohnung - siehe Foto). Noch eine wichtige
Aufgabe hat das Wasser. Es soll die Reflektion des Schalls dämpfen.
Nur so überlebt der Satellit hinter einer lärmdämmenden
Verkleidung.
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Beim Bau von Ariane 5 hat
der Konstrukteur berücksichtigt, dass die Rakete vom Weltraum
betrachtet bereits am Startplatz eine Geschwindigkeit von 1660
Kilometer pro Stunde aufweist. Sie errechnet sich aus dem Umfang der
sich in Kourou drehenden Erde von nahezu 40.000 Kilometern geteilt
durch 24 Stunden, die sie für eine Umdrehung benötigt. Weil diese
Geschwindigkeit nicht durch Kraftstoff der Rakete aufgebracht werden
muss, kommt Ariane 5 beim Einbringen geostationärer Satelliten mit
15 bis 20 Prozent weniger Kraftstoff aus, als die amerikanische
Konkurrenz in Florida. Dazu kommt der Sicherheitsvorteil, dass die
allgemeine Abflugrichtung nach Norden und Osten über den Atlantik führt.
Alles Gründe, die gegen einen Startplatz im europäischen Umland
sprechen.
Nach
"Lift-Off" liefen die Uhren schneller. Neun Monate Bauzeit
der "Booster" bei MAN in Augsburg, verbunden mit der
Treibstoffpaste aus den Knetmaschinen der benachbarten Pulverfabrik
ergaben eine Lebensdauer von 132 Sekunden. Abgesprengt fielen sie am
Fallschirm in den Atlantik. Aufgefischt, und neugierig begutachtet,
werden sie später verschrottet. Ohne "Booster" hatte die
Zentraleinheit bereits soviel ihres Kraftstoffs verbraucht, dass nun
der Schub größer war als ihr Gewicht. So kam sie nach einer
Brenndauer von 10 Minuten auf die 18 bis 20-fache
Schallgeschwindigkeit (Mach 18 bis 20), wurde ebenfalls abgesprengt
und fiel planmäßig in den Pazifik. Hier in 180 Kilometer Höhe erhöhte
die zweite Stufe das Tempo noch einmal um acht bis zehn Mach. Um die
beschleunigten Massen möglichst klein zu halten, war die hier oben
überflüssige windschlüpfrige Verkleidung im Bereich des
Satelliten bereits zurückgelassen worden. Zum Brennschluss schließlich
hatte die zweite Stufe behutsam das Röntgenteleskop ausgesetzt und
sich mit einem letzten Manöver in einen respektvollem Abstand
gebracht. Seit dem Start waren 25 Minuten verstrichen, die Mission
Ariane 5 galt als beendet, die Mannschaft ging wie gewohnt ins
benachbarte Hotel zum Feiern ans Büfett.
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Je genauer die Rakete den
Satelliten in die gewünschte Anfangsposition brachte, umso weniger
wird er von seinem eigenen Kraftstoff verbrauchen, um anschließend
sein späteres Ziel im All zu erreichen. Der Unterschied zeigt sich
in der Lebensdauer des Satelliten, die um Jahre länger oder kürzer
sein kann.
Wurde die Rakete von
Bodenstationen entlang des Flugverlaufs bis Malindi in Kenia
verfolgt, so hat der Satellit einige Zeit gebraucht, um
betriebsbereit zu sein. Zunächst entfaltete er seine Solarpanelen
und nach automatischen Testabläufen sendete er erstmalig
seinen eigenen Zustand zur Erde (Housekeeping-Daten). Viel gibt es
zu beachten und so ist das einige Wochen dauernde Ausgasen nur einer
der zu berücksichtigenden Aspekte. Später wird der Satellit mit eigener
Kraft seine endgültige Position einnehmen und im vollen Betrieb
Datenmengen bis150 MBit pro Sekunde zum European Space Operations
Centre (ESOC) in Darmstadt senden. Im Gegensatz zur geostationären
Positionierung der meisten Satelliten, sie ruhen in scheinbar 36.000
Kilometer Höhe über dem Äquator, beschreibt der Satellit XMM eine
hochelliptische Bahn. Im Endzustand wird der erdnächste Punkt in
7000 und der weiteste in 114.000 Kilometer Abstand liegen. Der große
Abstand ist nötig, um den erdnahen Röntgenstrahlen des so genannten
Van Allen-Gürtels zu entkommen. Bei diesem Schleuderkurs ist die
Geschwindigkeit im größten Abstand zur Erde am geringsten. Deshalb
bleibt für XMM , obwohl
die Umlaufzeit nur 48 Stunden beträgt, jeweils eine
Beobachtungszeit von 40 Stunden und das 800 Millionen Lichtjahre weit.
Fotos:
Ariana 5 Start: Daimler Chrysler Aerospace
andere: Verfasser
Notiz
Am
12. Juli 2001 ist zum ersten Mal der Start einer Ariane5 (Flight Nr.
142) fehlgeschlagen. Es ist der siebte kommerzielle Flug einer
Rakete dieses Typs. Sie sollte zwei Satelliten (ARTEMIS und
BSAT-2 B, ein europäischer Nachrichtensatellit und ein japanischer
Direktfunksatellit) dazu verhelfen, eine geostationäre Umlaufbahn
von 35 853 km zu erreichen. Die beiden Satelliten trennten sich von
der Ariane 5 bereits in einer Höhe von 17 528 km.
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