Die
Macht der Klotür
von Jürgen Heermann
Wohl jeden Normalmenschen ergreift ein befreiendes Gefühl,
wenn er miterleben darf, wie sich sonst allseits selbstsichere
Menschen öffentlich zu Trotteln machen. Ein todsicherer Tip für
jeden, der daran Spaß hat: Beobachten sie die Klotüren eines
begnadeten europäischen Flugzeugherstellers, der noch
Konstrukteure einzusetzen vermag, die nie in ihrem Leben zuvor eine
Tür sahen.
Draußen tobt die Nacht - weitgehend unsichtbar. Drinnen
herrscht Ruhe. Vereinzelt gehen Flugbegleiter durch die Kabine.
Zeitungen sind vergriffen. Ein Dreistundenflug. 148 Augenpaare
parieren nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten. Die nicht
Zugefallenen schauen auf alles, was sich bewegt oder verändert. Gut
sichtbar befinden sich in uneingeschränktem Blickfang zwei grüne
Hinweistafeln "TOILETTE LAVATORY", angebracht an den sich
jeweils vorne links und rechts befindlichen Räumen sonnenlosen
Gelasses.
Diese beleuchteten Anzeigen sind nicht stetig. Sie reagieren
sofort auf den Gang zum stillen Örtchen und sind zurzeit die
buntesten Punkte zwischen Himmel und Erde. Wer nun noch immer die
Augen offen hat, dessen gelangweilter Blick wird bereichert. Er
beobachtet, wie sich diese Tafeln verändern. Mal taucht in ihrer
linken, ein anderes Mal in ihrer rechten Hälfte ein orangenfarben
hinterlegter Zusatz auf: "BESETZT OCCUPIED". Das ist
besonders gut für die Passagiere der sich unmittelbar dahinter
befindlichen Sitze 15 A,B, und 15 H,K. Sie bekommen auf diese Weise
ein wenig optische Reize in ihrem sonst tristen Blick auf das
schlichte schräggestreifte Wandgrau.
Nach dem allgemeinen Essen kommt nun der logische Drang nach
einem Ortstermin in Abgeschiedenheit. Der Gang durch den Gang ist
problemlos. Dann aber steht der Gast vor einer grifflosen Klotür,
fummelt herum, drückt schließlich gegen die blanke Tür, die etwas
widerwillig in eine vorher nicht zu bestimmende Richtung nach innen
aufknickt. Ungeübt mit solchen Falttüren will diese mit regelmäßiger
Störrigkeit noch während des Durchschreitens wieder zuschnappen.
Schließlich verschwindet der Gast und schiebt von innen den Riegel
vor, sofern er diesem habhaft wird.
Schon kurz darauf rücken die Nächsten nach. Vorneweg ein
Mann durchschnittlicher Größe. Er drückt gegen die Tür. Obwohl
von innen verriegelt, knickt sie auffallend weit ein. Das macht ihn
mutig, und er drückt kräftiger aber erfolglos. Jetzt schaut er
sich um und sieht genau in Augenhöhe einen wichtigen aber für den
Augenblick nicht besonders hilfreichen Aufkleber: "IM WASCHRAUM
NICHT RAUCHEN - NO SMOKING IN LAVATORY". Auf der Suche nach
wichtigeren Plakaten entdeckt er in Augenhöhe noch ein
Nichtraucherzeichen und eine Mutter, die ihren auf dem Rücken
liegenden Säugling kitzelt, der darauf wonnig Arme und Beine in die
Höhe streckt.
Nachdem jener normalgroße Mann nun alles in allgemeiner
Blickrichtung gelesen hat, schweift sein Blick nach oben. Ganz oben
an der Tür ein beleuchtetes ovales silbrigmetallen umrahmtes
Fensterchen mit der Aufschrift "TOILETTE WC DRÜCKEN -
PUSH". Wohl an, und er drückt abermals. Wiederum gibt die Tür
ein Stückchen nach. Von schwergängigen Türen im Leben gezeichnet,
läßt er sie schroff zurückfedern, um sie dann, für den
"Insassen" sicherlich in beängstigender Weise, noch
einmal aber heftiger zu bearbeiten.
Nun vergewissert er sich, um die Ecke schauend, ob vielleicht
doch das Besetztzeichen zu sehen ist. Es ist nicht eingeschaltet,
denn in diesem Moment kommt eine, vom Türendonner sichtlich
genervte Person, aus der Toilette.
Währenddessen sehen wir an der zweiten Tür des gleichen
Zwecks, wie auch dort jemand herauskommt. Die Tür, normalerweise
von einer Feder nach dem Öffnen in ihre Schließposition gezogen,
will diesmal diesem Vorgang nicht folgen. Sicherlich verrät die
leicht schwerfällig steife Haltung des Gastes, dass er an der Last
von Zugluft offener Türen schwer zu tragen hat, und so greift er
sofort zur Tat und umher. Zuerst rutscht er fingernagelreitzend am
glatten Oval des beleuchteten "TOILETTE WC DRÜCKEN -
PUSH"-Fensterchen ab, dann greift er mit gleichem Mut und
weniger Nägel zum "FREI - OCCUPIED". Schließlich gibt er
auf und zieht sich zurück.
Gerade noch rechtzeitig schweift unser Blick wieder zur
ersten Tür. Der nächste Gast kommt, will öffnen, findet keinen
Griff, zieht am Aschenbecher. Der klappt quietschend auf. Die Tür
bleibt zu.
Beobachtet
in einem Airbus A310 der Deutschen Lufthansa am 04. Juli 1994 auf
dem Flug von Athen nach Frankfurt. |