"Ich dachte,
Sie sind abgeschafft"
oder
"Ein Glas Rotwein morgens um
Neun".
von Jürgen
Heermann
Höhe 10700 Meter,
tiefe Nacht über dem Atlantik. Seit dem Start in Washington sind über
vier Stunden vergangen. Mit unserem Jumbo, einer Boeing 747, überfliegen
wir auf dem 42. Breitengrad 30 Grad westliche Länge. Einer der beiden
Flugzeugführer gibt eine Positionsmeldung an die Flugsicherung. Zum zwölften
Mal kontrolliere ich den Kraftstoffvorrat.
Der Purser, Chef der
Kabine, kommt mit zwei Passagieren ins Cockpit. Nach kurzem Staunen über
so viele Uhren und Knöpfe wendet sich ihr Blick zu mir:
"Und was ist
Ihre Aufgabe?"
"Ich bin der
Flugingenieur an Bord."
"Wofür ist ein
Flugingenieur nötig?"
"Der
Flugingenieur hält das Flugzeug "bei Laune", während die
Flugzeugführer dieses von A nach B bringen. Dazu ist mehr notwendig, als
zu Beginn der Nacht die Positionslampen einzuschalten. Es gehört dazu die
Überwachung und Einstellung der verschiedenen lebensnotwendigen Systeme.
Da die Einhaltung von Höhe, Richtung und Geschwindigkeit, Setzen der
Landeklappen und Fahren der Fahrwerke dazugehört, ist diese Tätigkeit
eng eingebunden in die der Flugzeugführer."
"Ja, aber ich
dachte, sie sind abgeschafft?"
"Flugingenieure
werden nicht abgeschafft, sondern neuere Flugzeuge benötigen keine mehr.
Da Flugzeuge ohne Probleme 25 Jahre alt werden können, wird es noch lange
Flugingenieure geben."
"Und wie ist
das in einem Flugzeug mit Zweimann-Cockpit?"
"Dort sind die
Systeme weitgehend automatisiert und die verbleibende Arbeit muss von den
Flugzeugführern übernommen werden."
Seitenanfang
Als es draußen hell
wird, sind die Gäste schon längst gegangen. Nach weiteren zwei Stunden
Sonnenschein landen wir auf unserem Heimatflughafen Frankfurt am Main. Mit
einem Bus fahren wir 17 Uniformierte in den Crewkeller. Nicht lange
nachdem wir uns insgesamt 136 Mal die Hände schüttelten, biege ich am
Frankfurter Kreuz rechts ab und sitze etwas später vor einem Glas
Rotwein. Feierabend! Es ist neun Uhr morgens. Ich sehe einen Jumbo im
Steigflug. Von der Startbahn "Eins-Acht" kommend, fliegt er
geradewegs auf das Funkfeuer bei Bad König zu. Ich weiß, dass der darin
sitzende Flugingenieur bis zum Start über 1500 Anzeigen und
Schalterstellungen prüfte. Nach dem Abheben stellte er das Einfahren der
Fahrwerke und Schließen ihrer Türen sicher. Er reduzierte die Triebwerke
von der Start- auf die schonendere Steigleistung und schaltete die Klima-
und Druckregelanlage entsprechend ein. Im Augenblick lauscht er den
Anweisungen der Flugsicherung und überprüft das Einfahren der
Startklappen. Gleich wird er das Netz von Rohrleitungen umschalten, das
bis zu neun Tanks mit vier Triebwerken verbindet. Nur so bleibt der
Schwerpunkt des Flugzeugs im kraftstoffsparenden Bereich. Ich werde im
Bett liegen und selig schlafen, wenn er mit seinem Kapitän und Copiloten
die Reiseflughöhe erreicht. Dort wird dieser "abgeschaffte"
Flugingenieur die Zeit finden, genüsslich einen Becher Kaffee trinken zu
können. Einer von 130 im Lufthansa-Konzern.
Nachsatz: Seit dem
31. Dezember 2004 gibt es mit dem Verkauf der letzten Jumbos, der Boeing
747-200 der Deutschen Lufthansa, in Deutschland kein Dreimanncockpit.
Weiterhin fliegen in der Welt noch hunderte Flugzeuge mit Dreimanncockpit
mit tausenden von Flugingenieuren. Der Jumbo, die B747, wurde bis 1991 mit
einem Dreimanncockpit gebaut. Solche Flugzeuge werden problemlos 25 Jahre
alt. Bis sie verkauft werden!
Wollen Sie mehr
wissen? Wer ist wer im Cockpit? Wie wird man Pilot? Sehen Sie dazu
die drei aufeinander folgenden Kapitel in meinem Buch, beginnend mit
"Erst fünf,
dann vier, jetzt drei oder zwei".
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